Im Spannungsfeld: Sportjournalismus zwischen Nähe und Distanz

Sportjournalismus, Medien, Quelle: Pixabay/planet_fox

Beim Sportethischen Forum der Evangelischen Kirche in Deutschland ging es im März 2024 um Nähe und Distanz von Sportjournalisten in ihrer Berichterstattung. Ich habe die Veranstaltung verfolgt und einen Leitartikel für epd medien geschrieben, den ich hier veröffentliche.

Der Vorwurf hält sich hartnäckig: Sportjournalisten fehle es häufig an der gebotenen Distanz in ihrer Berichterstattung. Das oft im gleichen Atemzug genannte Vorurteil: Sportjournalisten sind nur verkappte Fans und machen ihren Job in erster Linie, um kostenlos bei Spielen ihrer Mannschaft oder den Events ihrer Lieblingssportart dabei sein zu können.

Die Gründe für solche Behauptungen haben teils historische Wurzeln. Sie liegen aber auch in der Natur des Sports begründet. Diese Natur bedingt die Berichterstattung zumindest in Teilen und unterscheidet den Sport in zentralen Punkten von Ressorts wie Politik oder Wirtschaft. Gespeist wird die häufig stereotype Sicht auf die Sportjournalisten dabei auch von der irrigen Annahme, es gäbe nur die eine Form des Sportjournalismus.

Außenseiter der Redaktion

Im Orchester der Ressorts galt der Sport lange Zeit als nicht vollwertig. Sportjournalisten wurden zwar geduldet, wirkten aber wie ein proletarischer Bruder, den man nicht wirklich ernst nimmt. In seiner Studie „Die Außenseiter der Redaktion“ von 1976 stellte der Kommunikationswissenschaftler Siegfried Weischenberg fest, dass das Bildungs- und Ausbildungsniveau in Sportredaktionen niedriger und die Selbst- und Fremdeinschätzung negativer als bei anderen Ressorts sei.

In den vergangenen Jahrzehnten hat der Sportjournalismus eine deutliche Aufwertung erfahren, und das Ansehen der Beschäftigten ist gewachsen. Die Gründe dafür sind vielfältig: Kein Sportressort versteht sich heute mehr als reiner Lieferant von Ergebnissen und Spielberichten. Früher sah sich der Sport oft nicht zuständig bei Themen mit politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Aspekten.

Jagd auf Klicks

Die Aufweichung der starren Ressortgrenzen hat dafür gesorgt, dass Sportjournalisten heute mehr investigative Recherchen liefern und sich stärker um das Aufklären von Missständen bemühen. Aber auch die deutliche Verbesserung bei der Ausbildung der Nachwuchsjournalisten spielt eine Rolle.

Hans Leyendecker, langjähriger Investigativjournalist bei „Spiegel“ und „Süddeutscher Zeitung“, erklärte beim sechsten Sportethischen Fachtag der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Frankfurt am Main, es gebe heute – nicht nur im Sport – herausragenden Journalismus, der viel besser sei als jener, an dem er habe teilhaben dürfen. Aber es gebe auch noch viel schlechteren Journalismus, wie man ihn in den früheren Zeiten nicht erlebt habe, sagte der 74-Jährige. Die Jagd auf Klicks und das Heranschmeißen an das Publikum gehe oft zulasten der Qualität. Gerade der Sportjournalismus sei in Teilen blasser, feiger und oberflächlicher geworden.

Es gebe Journalisten, die über Vereine berichteten, ohne das Vereinsgelände überhaupt zu kennen. „Der Journalist braucht Nähe zu Informanten. Und er braucht gleichzeitig Distanz, manchmal auch zu sich selbst“, sagte Leyendecker. „Die Krankheit des deutschen Journalismus – und das gilt für einige Ressorts – ist nicht die gepflegte Kampagne, sondern die Verwischung von Grenzen. Es ist die gegenseitige Instrumentalisierung für eigene Zwecke.“

Einen zentralen Punkt im Spannungsfeld von Nähe und Distanz riss Leyendecker mit dem Titel seines Vortrags „Sportjournalismus zwischen ‚Buschi‘ und Hajo Seppelt“ zwar an, klärte ihn aber nicht wirklich. Frank Buschmann alias „Buschi“ hat sich als Sportreporter mit seinem enthusiastischen und bisweilen polarisierenden Stil bei TV-Übertragungen einen Namen gemacht. Zudem entspricht er als ehemaliger Zweitliga-Basketballspieler für Leyendecker jenem Typus von Journalisten, der nach der Sportlerlaufbahn einfach auf die Seite der Fans gewechselt ist. ARD-Journalist Seppelt ist dagegen einer der führenden Experten für die Dopingproblematik im deutschen und internationalen Sport.

Beide sind ganz unterschiedliche Typen, und beide stehen für ganz unterschiedliche Arten, über Sport zu berichten. Von Buschmann eine investigative Dokumentation über Doping zu erwarten, würde seinen Stärken ebenso wenig gerecht werden, wie von Seppelt eine mitreißende Basketball-Live-Reportage zu fordern.

Drei Arten, über Sport zu berichten

Ein griffiges Erklärungsmodell für das Spannungsverhältnis von Nähe und Distanz lieferte beim Fachtag der Theologe und Sozialethiker Michael Roth. Für den Mainzer Professor beeinflusst das Sportgeschehen selbst den Charakter seiner Berichterstattung. Roth machte drei Formen der Sportberichterstattung aus: einen kritisch-analytischen Sportjournalismus, der Hintergründe und Zusammenhänge beleuchtet, eine unterhaltend-informative Sportberichterstattung von Spielen oder Events und den Sport-Boulevardjournalismus. Alle diese Formen hätten ihre Daseinsberechtigung, so Roth.

Das mutmaßliche Problem von Nähe und Distanz trete meist bei einer Sportberichterstattung auf, die aus der Innenperspektive des Sports heraus erfolge. Sport sei ein Spiel, vom Wesen her daher zweckfrei und unproduktiv. Zudem habe es einen Als-ob-Charakter, weil sich zwei Mannschaften ja nicht wirklich um den Ball stritten. Schließlich könnte sich jeder ja auch einen eigenen Ball kaufen.

„Ohne eine Nähe und ein Hineintauchen gibt es keine Sportberichterstattung“, sagte Roth. „Denn im Grunde verlangen wir doch von dem Berichterstatter, dass er die Geschichte mit uns gemeinsam erlebt.“ Aus Roths Sicht wird deswegen auch akzeptiert, dass der Sportberichterstatter begeistert darüber ist, wenn ein David gegen einen Goliath gewinnt. „Aber wir sind nicht begeistert, wenn ein politischer Journalist sich darüber freut, wenn eine kleinere Partei die Fünfprozenthürde überspringt.“

Dennoch gebe es auch im Sport Grenzen der Parteilichkeit. Das Sportgeschehen müsse angemessen dargestellt werden. „Große Kumpanei kann hier ebenso hinderlich sein wie zu große Distanz“, sagte Roth. Bei der Übertragung eines Fußballspiels wolle er allerdings über die Partie informiert werden und keinen Berichterstatter, der dabei krampfhaft versuche, ein Watergate zu produzieren.

Die Bedeutung von Emotionalität

Ein Blick auf die Geschichte großer Sportmomente mit Triumphen und Dramen gerade im Radio zeigt, wie wichtig Emotionalität ist, auch wenn das dann eben nicht journalistisch neutral ist. In der legendären Hörfunkreportage des Fußball-Weltmeisterschaftsendspiels von 1954 feierte Kommentator Herbert Zimmermann den deutschen Keeper Toni Turek als „Fußballgott“ und ließ seiner Freude über den Titel nach dem Abpfiff freien Lauf.

Unvergessen auch die ARD-Hörfunkkonferenz zum dramatischen Bundesliga-Abstiegsfinale 1999, in der gerade die persönliche Betroffenheit einiger Reporter für ihre Vereine das Salz in der Suppe war. Das mit Grabesstimme vorgetragenen „Wir melden uns vom Abgrund“ des Nürnberg-Reporters Günther Koch angesichts des bevorstehenden Abstiegs seines Teams gehört noch heute zu den geflügelten Worten der deutschen Fußballgeschichte.

Aufgestockte Medienabteilungen

Was bei der Diskussion über die angeblich zu große Nähe von Sportjournalisten oft zu kurz kommt, ist eine komplett gegenläufige Tendenz. Gerade im Profifußball wird es nämlich immer schwieriger, in die Nähe von Spielern und Offiziellen zu kommen. Die Clubs haben ihre Medienabteilungen in den vergangenen Jahren massiv aufgestockt. Offiziell, um die interessierten Fans schneller und besser zu erreichen. Aber damit haben sie auch zunächst die Deutungshoheit über bestimmte Ereignisse.

Zugleich wird es für Journalisten immer schwieriger, Originalzitate zu erhalten. Die Spieler, die sich nach einem Spiel äußern dürfen, werden von den Pressesprechern vorher ausgewählt. Ein Gespräch unter vier Augen in einem Café, früher durchaus häufig, ist heute die große Ausnahme. Interviews finden meist unter Aufsicht des Vereins statt. Trotzdem kommt es dann immer wieder vor, dass die Gespräche später kaputtredigiert werden. Manchmal steht in der freigegebenen Version nach der Bearbeitung durch die Medienabteilung sogar das Gegenteil der ursprünglichen Aussagen.

„Journalismus hat Zukunft. Diese Zukunft liegt im guten Journalismus“, sagte Leyendecker beim Fachtag. Das gelte für den Sport wie für die anderen Ressorts. Für Leyendecker ist dabei eine einordnende und originelle Berichterstattung maßgeblich. Das gilt vor allem für den Sportjournalismus im Stil eines Hajo Seppelt.

Aber es gibt eben nicht nur diese Art, über Sport zu berichten. Ohne eine gewisse Nähe, ohne Emotionen und ein Mitfiebern wird das Publikum gerade in Livesituationen nicht abgeholt werden. Was für die beiden Arten von Sportberichterstattung zählt – da ist Leyendeckers Sicht auf jeden Fall konsensfähig -, ist eine Haltung, für etwas einzustehen und sich nicht verbiegen zu lassen von kurzfristigen Moden oder der Sucht nach Anerkennung.

Infobox

Das Sportethische Forum der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) wurde 2017 ins Leben gerufen. Ziel ist, Herausforderungen im Sport aus gesellschaftlicher und christlicher Perspektive zu thematisieren, kontroverse Diskussionen aus neuen Blickwinkeln anzuregen sowie Impulse für positive Entwicklungen in Sport, Gesellschaft und Kirche zu suchen. Im Forum unter Leitung des EKD-Sportbeauftragten und Kirchenpräsidenten der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Volker Jung, treffen sich Persönlichkeiten aus Kirche, Sport, Wissenschaft, Politik, Wirtschaft, Publizistik und Kultur. Einmal im Jahr lädt das Forum zu einem Sportethischen Fachtag in die Evangelische Akademie in Frankfurt am Main ein.

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