Trauerspiele ohne Relevanz. Fußball-TV in Pandemie-Zeiten

Fußball in Corona-Zeiten

Auf dem Rasen des leeren Leipziger Stadions müht sich an diesem tristen Novemberabend eine deutsche Fußball-Nationalmannschaft. Wobei die vielen Nobodys in ihren Reihen den Grundgedanken konterkarieren, dass es sich dabei um die Auswahl der besten Spieler des Landes handelt. Aber auch Gegner Tschechien ist nur mit einer B-Auswahl angetreten. Es geht um nichts in diesem Testspiel, der knappe deutsche Sieg ist am Ende ebenso glanz- wie bedeutungslos.

Wer will das sehen? Im Stadion sind Zuschauer wegen der Corona-Pandemie ausgeschlossen. Und im Fernsehen kommt die Live-Übertragung bei RTL gerade einmal auf 5,42 Millionen Zuschauer – so wenig wie kein anderes Länderspiel in der Primetime seit etwa zwei Jahrzehnten. Dass ausgerechnet die ZDF-Sendung „Bares für Rares“ am Abend des 11. November die meisten Zuschauer erreicht, ist nicht ohne Ironie.

Wie eng Sport und Publikum zusammengehören, zeigen Dietrich Leder, Jörg-Uwe Nieland und Daniela Schaaf in ihrem gerade erschienenen Buch „Die Entstehung des Mediensports“ in verschiedenen Facetten. „Sport zieht Zuschauer an. Mehr noch: Das Publikum ist konstitutiv für den Sport“, heißt es dort. Leder, Professor für Medien an der Kunsthochschule Köln, verweist auch auf die Filmpioniere Auguste und Louis Lumière. Diese hätten ihre dokumentarischen Sportaufnahmen so gedreht, dass nicht nur das Ereignis, sondern immer auch Zuschauer zu sehen waren. „Diese Zuschauer verbürgten eine gewisse Relevanz“, sagt Leder. „Wenn die Zuschauer wegfallen, wird das Ereignis tendenziell irrelevant. Dann reichen die medialen Betrachter nicht aus.“

Genau das erleben wir gerade. Wenn Sport ohne Zuschauer auf den Rängen stattfindet, verliert er das, was ihn ausmacht – und damit seine Relevanz. Und dabei ist es noch ein Privileg des Profi-Fußballs, dass er überhaupt stattfinden darf, während Kinos, Theater oder Restaurants schließen müssen. Die Fußball-Funktionäre verweisen auf das aufwendige Hygienekonzept, das für andere Sportarten und Länder zum Vorbild geworden sei. So hält man den Spielbetrieb am Laufen, bekommt weiter Geld aus den Fernsehverträgen und verhindert Insolvenzen bei den Profiklubs – zumindest vorerst.

Wie lange das so weitergeht, kann niemand verlässlich sagen. Also bleibe nur, „sich durchzuwurschteln, mit viel zu viel Fußball im Fernsehen, mit einem überkomprimierten Spielplan, der schnell zu einer Übersättigung daheim führen kann“, warnte der Journalist und Filmemacher Freddie Röckenhaus kürzlich anlässlich des Spitzenspiels zwischen Borussia Dortmund und Bayern München vor Geisterkulisse. „Schon wieder leere Ränge vor grünem Rasen, schon wieder kein Anfeuern, wenn die eigene Mannschaft hinten liegt“, schreibt er und kommt ganz im Sinne Leders zu dem Schluss: „Seine Bedeutung erhält der Fußball nicht durch das pure Spiel, sondern durch die Aufregung, die wie ein gigantisches Schwungrad das Spiel antreibt.“

Dortmunds Klubchef Hans-Joachim Watzke sorgte sich kürzlich schon um die längerfristigen Folgen: Die Menschen könnten entemotionalisiert werden und möglicherweise das Interesse am Fußball verlieren, auch wenn irgendwann wieder Zuschauer zugelassen werden. Schon vor Corona gab es Anzeichen für eine solche Entemotionalisierung und einen Bedeutungsverlust. Die Pandemie scheint das noch zu verstärken. Besonders deutlich wird das am DFB-Team: Manager Oliver Bierhoff klagte kürzlich, dass die Nationalmannschaft nicht mehr „Deutschlands liebstes Kind“ sei, dass man die Freude am Fußball gerade nicht spüre und aufpassen müsse, dass man das Rad nicht überdrehe. Und trotzdem trat die Mannschaft kurz darauf in dem völlig bedeutungslosen Testspiel gegen Tschechien an. Ähnlich wie in der parallel stattfindenden Konkurrenzsendung im ZDF ging es dabei auch um Bares. Der Unterschied: Der Gegenwert, der aus Leipzig kam, war alles andere als rar.

Dieser Beitrag ist zunächst bei epd medien (Heft 47/20 vom 20. November 2020) erschienen.

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